Perspektivwechsel in der Klimaschutzpolitik

Der renommierte Klimaschutzexperte und Friedensnobelpreisträger Dr. Michael Dutschke spricht sich in einem ausführlichen Interview für einen Perspektivwechsel im Klimaschutz aus.

BildEr setzt dabei auf die positiven Impulse, die von den globalen Herausforderungen des Klimawandels und der Demographie ausgehen.

Michael Dutschke berät seit fast 20 Jahren Unternehmen, NGOs und Regierungen zu den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Als Mitglied des Internationalen Klimabeirats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) wurde seine Arbeit 2007 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. In seiner beruflichen Laufbahn beriet er immer wieder die Bundesregierung, zum Beispiel 1998 das Wirtschaftsministerium hinsichtlich des Emissionshandels. 2007 gründete er das Beratungsunternehmen . Dieses Expertennetzwerk berät private Unternehmen und Regierungen, erstellt für sie Strategien und hilft bei der Umsetzung von Klimaschutzprojekten.

Michael Dutschke begreift die Herausforderungen des Klimawandels und der Demographie als eine Chance für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Dafür muss seiner Ansicht nach der jetzige Fokus in der Umweltpolitik und in der Wirtschaft verlagert werden. Erst durch einen pragmatisch realistischen Blick auf die Ressourcen, die uns jetzt und in Zukunft zur Verfügung stehen, können wir begreifen, wie wir die natürliche Fülle, die uns umgibt, erhalten, schützen und wirtschaftlich nutzen können.

Herr Dutschke, Sie treten für einen Perspektivwechsel in der Klimaschutzpolitik ein? Was genau wollen Sie bewegen?
Ich gehöre zur ersten Generation der Umweltschützer und habe das ganze Auf und Ab der Bewegung erlebt. Unsere Überzeugung war immer, dass das Überleben der Welt gefährdet ist, wenn der Ausbau der Atomkraft, der saure Regen, der Abbau fossiler Brennstoffe oder die Entwaldung im gleichen Tempo weitergehen. So formierte sich eine Bewegung, um dies zu verhindern. Sie richtete sich gegen Atomkraft, Entwaldung usw. Gleiches gilt für die Friedensbewegung der Achtziger, die eigentlich eine Anti-Kriegs-Bewegung war und ähnlich ist es bei der Bewegung gegen den Klimawandel.
Inzwischen ist mir klar, dass die einzige Konstante der Wandel ist. Eine Projektion laufender Entwicklungen in die Zukunft führt immer zu falschen Vorhersagen, egal ob es sich um positive oder negative Prognosen handelt. Allerdings tragen angstbesetzte, negative Prognosen dazu bei, die kritisierten Verhältnisse zu stützen. Das mag zunächst paradox klingen, aber Entscheidungen werden von Menschen getroffen. Und wenn Menschen kritisiert werden, neigen sie dazu, ihre Positionen zu verhärten. Erst recht, wenn sie keine Alternative dazu sehen. Eine Bewegung gegen das Bestehende zementiert also genau die Zustände, die sie ändern will. Meiner Ansicht nach ist es wesentlich effektiver, die Menschen über einen Zielkonsens zu gewinnen und gemeinsam mit ihnen neue Wege dahin zu entdecken.

Verschließen Sie mit Ihrem Ansatz nicht die Augen vor gefährlichen Entwicklungen?
Natürlich nicht. Denn nur indem wir Fehler erkennen, können wir unser Verhalten korrigieren. Um das Beispiel mit dem halb vollen oder halb leeren Glas zu bemühen: Der Pessimist sieht es als halb leer, der Optimist als halbvoll. Alle, Pessimist, Optimist und Pragmatiker, haben als Ziel das volle Glas. Der Pessimist will verhindern, dass das Glas ganz leer wird, stemmt sich also gegen eine unaufhaltsame Entwicklung. Der Optimist ignoriert sie einfach. Der Pragmatiker kümmert sich darum, womit das Glas wieder gefüllt werden kann.
Der erste große Umweltschutzreport des ,Club of Rome’ 1972 hieß “Die Grenzen des Wachstums”. Dies impliziert, dass Wachstum als solches schädlich ist, weil das System, in dem es stattfindet, nicht grenzenlos ist. Auch der 1995 verfasste Bericht an den ,Club of Rome’ “Faktor 4, Doppelter Wohlstand, halbierter Naturverbrauch” stellt das Wachstum selbst in Frage. Er proklamiert völlig zu Recht die Effizienzrevolution, prägt aber auch den Begriff der Suffizienz, die vernunftbestimmte Genügsamkeit. Dabei ist Wachstum meiner Ansicht nach als solches ein natürlicher Vorgang. Jedes Lebewesen, der Mensch inbegriffen, strebt nach Expansion und Wachstum. Man kann eine Zeitlang seinen Konsum einschränken, aber dauerhafte Stagnation ist widernatürlich. Deshalb haben Sparsamkeitsappelle so eine geringe Halbwertszeit.
Der Pragmatiker in mir fragt also danach, welcher Faktor am ehesten verändert werden kann. Wenn es nicht das Wachstum als solches ist, ist es vielleicht das Bezugssystem, in dem Wachstum stattfindet. Wenn wir alle um Erdöl konkurrieren, wird bald keines mehr da sein und wir sind der einzigen Energiequelle beraubt, die wir kennen. Inzwischen wissen wir aber, dass wir von Energie umgeben sind, vor allem von Sonnenenergie in ihren vielen Erscheinungsformen. Wir müssen das sprichwörtliche Glas also nicht mit Erdöl füllen.

Sie setzen also auf erneuerbare Energien. Das ist an sich ja nicht neu!
Klar, unterstütze ich erneuerbare Energien. Wenn sie dazu beitragen, menschliche Bedürfnisse zu erfüllen. Aber mein Anliegen ist Freiheit und schöpferische Kraft. Wirklich nachhaltige Lösungen können wir nur dann finden, wenn wir sie aus einer Position der Gelassenheit suchen. Die besten Ideen kommen aus dem Wissen um die Unerschöpflichkeit unserer Ressourcen. Wirkliche Freiheit beginnt dort, wo ich mich außerhalb des Konkurrenzkampfes stelle und die Kooperation mit anderen Menschen und mit den Kräften der Natur suche. Das ist ein echter Paradigmenwechsel. Denn wir leben nicht in einem geschlossenen System, sondern in einem expandierenden Kosmos.

Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein…
Das ist schon wahr. Ich beobachte heute zwei Produktionssysteme, die nebeneinander existieren.
Zum einen die lineare Wirtschaft der knappen Ressourcen. Sie erschöpft einige wenige Rohstoffe, zum Schaden des gesamten Erdsystems. Das Klima wird nur dadurch gefährdet, dass sich der Energiesektor weitgehend auf Kohle, Erdöl, Erdgas und Uran konzentriert und diese ohne Rücksicht auf Verluste ausbeutet. Was über Jahrmillionen durch natürliche Organisationsprozesse hergestellt wurde, beuten wir in wenigen Generationen aus und hinterlassen energiearme, desorganisierte Materie als Müll. Die verbrauchte Energie wird als CO2, radioaktive Isotope und Wärme in die Umwelt zurückgeführt. Das Denken der traditionellen Wirtschaft ist linear und auf Eigennutz und Konkurrenz angelegt. Das einzig Zyklische sind die Wirtschaftskrisen, die das aufgebaute Kapital wieder vernichten. Die lineare Wirtschaft führt zur Konzentration des Kapitals in Großstädten und zur Entvölkerung des ländlichen Raumes, der systematisch vernachlässigt wird.
Das andere Produktionssystem arbeitet mit der Natur zusammen und kopiert deren Vorgänge. Nachhaltige Forstwirtschaft und ökologische Landwirtschaft bauen ständig neue Ressourcen auf, während sie ernten. Die Firma Tesla überzieht die ganzen USA mit Solar-Ladestationen, um das Bedürfnis der Menschen nach individueller Mobilität in schnellen und komfortablen Autos zu stillen, die der Umwelt immer geringere Schäden zufügen. Sie stellt ihre Patente öffentlich zur Verfügung, um die Technologie voranzutreiben, auf der Suche nach der immer besseren Lösung durch Kooperation. Das Denken dieses Systems ist vernetzt und stellt Stoff- und Energie- und Nutzungskreisläufe her. Dabei baut es Naturkapital in mindestens gleicher Höhe wieder auf, wie es verbraucht wird. Dafür muss aktives Ressourcenmanagement betrieben werden; das wird zur Aufwertung des ländlichen Raumes führen und dort Einkommen schaffen.

Also brauchen wir nur zu warten, bis sich das Bessere gegen das Gute durchsetzt?
Ich glaube an die Kraft der Vision. Sicher könnten wir warten, bis die traditionellen Ressourcen aufgebraucht sind und sich die am meisten angepasste Produktion durchsetzt, aber bis dahin würden wir noch einige Umwelt- und Wirtschaftskrisen durchleben, die wir vermeiden können, wenn wir unser Schicksal bewusst steuern. Es gibt bislang eine technologisch geprägte Denkschule der Fülle (Abundance). Diese Denkschule stellt fest, dass wir von Rohstoffen und Energiequellen umgeben sind, die es nur wahrzunehmen und zu nutzen gilt. Die Technologien dafür stehen uns bereits heute zur Verfügung. Selbst für die Weltbevölkerung von neun Milliarden Menschen, die für die Mitte des Jahrhunderts erwartet wird, wird es ausreichend Nahrung geben und auch an Trinkwasser braucht es nicht zu mangeln. Was bislang fehlt, ist die ökonomische Theorie zu diesem Weltbild. Hier versagt die “Wissenschaft der Knappheit”, wie sich die Wirtschaftswissenschaft bis heute selbst definiert. In meinem Buchprojekt “Das Blaue Manifest” umreiße ich eine Ökonomie als “Wissenschaft der Fülle”, die den Kreislauf unseres Blauen Planeten beschreibt.
Meinen Lesern und Zuhörern verspreche ich eine spannende freudvolle Reise in unentdeckte Gebiete. Dabei werden einige Glaubenssätze vom Kopf auf die Füße gestellt.
Zur Person: Dr. Michale Dutschke
Dr. Michael Dutschke schaut auf fast 20 Jahre Erfahrung im Klimaschutz zurück. Der Politikwissenschaftler und Ökonom ist ein Experte auf dem Gebiet der internationalen Klimapolitik und richtet seinen Fokus vor allem auf die Verbindung von Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung. Er ist Leitautor des Internationalen Klimabeirats IPCC, der für seinen Vierten Sachstandsbericht mit dem Nobelpreis geehrt wurde. Sein Hauptanliegen ist Bewusstseinsbildung ohne erhobenen Zeigefinger. “Wir brauchen kluge Köpfe und neue Ideen”, sagt er, “um in den nächsten Jahrzehnten trotz Klimawandel und mit steigender Weltbevölkerung immer besser zu leben.”

Interview: Anna Quell/EQ mit Dr. Michael Dutschke

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